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Zur Geschichte der Kolpingstadt
Anders als in den europäischen Nachbarstaaten
fehlte in Deutschland bis
1871 ein zentraler Staat. Das offiziell
noch bis 1806 existierende „Heilige
Römische Reich Deutscher Nation“
war lediglich ein lockerer Staatenbund,
in dem nicht der Kaiser, sondern
die Territorialfürsten die Macht inne
hatten.
Welches Ausmaß die territoriale Zersplitterung
erreicht hatte, wird auch
am Beispiel der heutigen Kolpingstadt
Kerpen sehr deutlich, auf deren Gebiet
bis 1794 drei verschiedene Landesherren
regierten: Kerpen bildete mit
Mödrath und Langenich eine direkt
dem Kaiser unterstellte Reichsgrafschaft,
Horrem, Sindorf, Buir, Manheim
und Türnich gehörten zum Herzogtum
Jülich-Berg sowie Blatzheim
und Brüggen zum Kurfürstentum Köln.
Zwischen Buir und Türnich musste
ein auf direktem Weg Reisender also
drei Grenzen überschreiten – und das,
obwohl beide Orte zum Herzogtum
Jülich-Berg gehörten.
Kerpen, Mödrath und
Langenich
bildeten seit 1282 zusammen mit
Lommersum in der Eifel eine Doppelherrschaft,
die zunächst von Brabant,
seit 1404 von Burgund aus verwaltet
wurden. Ende des 15. Jahrhunderts
gelangte Kerpen an Habsburg. Seit der
Aufteilung des riesigen Habsburger
Reiches im Jahr 1522 gehörte Kerpen
zu Spanien. 1578 wurde die Kerpener
Burg von holländischen Rebellen besetzt.
1579 kam es zur spektakulären
Rückeroberung durch die Spanier.
1689 wurde die Kerpener Burg durch
die Truppen Ludwigs XIV. gesprengt.
1704 wurde Kerpen durch Jülich-
Bergische Soldaten besetzt.
1712 wurde Kerpen Reichsgrafschaft
unter den Grafen von Schaesberg.
Nachdem der letzte der Schaesberger
Herren die alte Burg 1793 hatte niederreißen
lassen, um sie durch einen
Neubau zu ersetzen, rückten 1794
die Franzosen ein. Daher ist heute nur
noch der Burghügel als letzter Rest erhalten.
Während das als Exklave von auswärtigen
Mächten regierte Kerpen unverhältnismäßig
oft in kriegerische Auseinandersetzungen
der frühen Neuzeit
hineingezogen wurde, gehörten die
übrigen Ortsteile zu den vorherrschenden
rheinischen Großmächten, dem
Herzogtum Jülich-Berg oder dem Kurfürstentum
Köln. Sindorf, Hemmersbach
und Horrem bildeten seit dem
13. Jahrhundert eine Unterherrschaft
im Herzogtum Jülich, die ursprünglich
im Interessengebiet der Kölner Erzbischöfe
gelegen hat.
Mittelpunkt dieser Unterherrschaft
war die Burg der 1077 erstmals erwähnten
Edelherren von Hemmersbach,
die Anfang des 14. Jahrhunderts
an die Scheiffart von Merode fiel.
Die im Verlauf der Hemmersbacher
Fehde 1366 stark beschädigte Burg
wurde bis weit in das 14. Jahrhundert
genutzt. Ende des Jahrhunderts ließ
Heinrich von Merode eine neue Burg
am heutigen Standort erbauen. Seit
dem 18. Jahrhundert gehört die Burg
den Grafen Berghe von Trips.
Türnich und Balkhausen
bildeten ebenfalls eine Unterherrschaft
im Herzogtum Jülich. Als frühester
Grundherr erschien hier das adelige
Damenstift Essen, das zunächst die
Pfalzgrafen als Vögte auf dem Türnicher
Besitz einsetzte. Im 15. Jahrhundert
wurde die Unterherrschaft von
der Familie von Haes verwaltet, die
ihren Sitz auf dem Türnicher Schloss
hatte. Über die Familien von Palant
gelangten Schloss und Unterherrschaft
an die Familie von Rolshausen, deren
Familie die Amtmänner der Herrschaft
St. Vith stellt.
Die heutige Partnerschaft der Kolpingstadt
Kerpen zur Stadt St. Vith
geht also sozusagen auf ca. 400 Jahre
alte Beziehungen zurück.
Während der Zeit des 30-jährigen
Krieges fand in Türnich eine lange andauernde
Auseinandersetzung um die
Rechte an der Unterherrschaft statt,
die besonders für die Bevölkerung
schlimme Ausmaße annahm.
Schließlich setzten sich hier die von
Rolshausen, die vom Herzog von Jülich
unterstützt wurden, durch. Bis
1850 lebte die Familie von Rolshausen
auf dem Schloss, dann verkaufte sie es
an die Familie von Hoensbroech, die
es bis heute noch besitzt.
Während sich politisch gesehen bis
zum Einmarsch der Franzosen 1794
nicht mehr viel ereignete, entwickelte
sich wirtschaftlich gesehen etwas ganz
neues in Türnich: Der Braunkohlenbergbau.
Die schon im 17. Jahrhundert genutzte
Braunkohle wurde erst im Laufe
des 18. Jahrhunderts wichtiger, da die
Brennholzversorgung immer knapper
wurde. Überall wurden sogenannte
Burg Hemmersbach Torfstiche angelegt.